Mama wo Bist du
von Anastasia Mörtl - Austellung von 16.04.2014 - 29.05.2014
Werke einer Obsession
Inszeniertes Kinderleid in der „Workstation“.
Es sind schlichte Kompositionen, doch in ihrer Vielzahl noch gerade Ausdruck einer Obsession, die in der Welt das Elend des entwürdigten Menschen verkünden will. Anastasia Mörtl inszeniert Kinderleid mit Hunderten von gleichen Bildern, die sich weder durch geringe Abweichungen im Farbgrund, noch in unterschiedlichen Schriftzügen unterscheiden lassen. „Mama wo bist du?“ ist in verschiedensten Sprachen und Schriftzeichen zu lesen. Die schlichte, naiv-heitere Bildkomposition besteht aus klaren Farbarealen. Vor der flachen Bühne eines stilisierten Gesichts stehen kindlich anmutende Kegelfiguren. Die zwingende Flächigkeit des Bildes verleiht der schriftlichen Botschaft besonderen Nachdruck. Vielhundertfach lautlos gerufen kann sie nicht unberührt lassen. Daneben zeigt Anastasia Mörtl reduzierte, grafische Arbeiten. Die raffiniert gesetzten Elemente vermag sie in Serie durch Drehung, Vergrößerung oder Verkleinerung der Formate elegant zu variieren.
Mama wo Bist du
Anastasia Mörtl
16.04.2014 - 29.05.2014
Daniel Gollner
Die Agentur Lux
Daniel Gollner
Willi Rainer
Anke Orgel
Fragen an die Unberechenbarkeit des Seins
Auf einer Welle scheinbarer Leichtigkeit, ja Heiterkeit treiben die Bilder von Nastasia Mörtl, sie erreichen uns direkt, ohne Umschweife.
Ihre formale Bescheidenheit, die sich in klaren Farben und oft
monochromen Farbflächen vermittelt, zeigen uns naiv anmutende und gleichzeitig anmutige Motive. Intensiv-farbige Felder, meist
separiert durch schwarze Linien, komponieren die Bildfläche, die sich auch ganz als Fläche gibt und gar nicht versucht, unseren Blick in einer räumlich-dreidimensionalen Illusion zu zerstreuen.
Das Bild wird im Vergleich zur schriftlichen Information generell
rascher von uns erfasst, jedoch lässt es sich nicht per se begreifen.
Es zieht Kreise in unserer Wahrnehmung, bis es durch Sprache
verankert wird, eine Bedeutung erhält.
Das Bild des Künstlers, das Sprache in die Gestaltung miteinbezieht, lenkt unsere Wahrnehmung willkürlich auf dessen subjektive Vorstellung.
Wenn ein Bild imstande ist, ausführliche Geschichten zu erzählen, dann ist die sprachliche Begrifflichkeit in Kombination mit dem Bildlichen also optimalerweise in der Lage, Ausuferndes einzugrenzen, Überflüssiges zu entfernen, Unbedingtes zu fokussieren - oder auch, Subjektiv-Literarisches hinzuzufügen.
Auf den zweiten Blick ergreifen die Arbeiten von Nastasia Mörtl: Das Seichte gewinnt an Tiefe, das scheinbar unbeschwert Heitere - es wird gebrochen. Das Leben selbst stellt Fragen, auf die wir schwerlich Antworten finden.
Wenn Nastasia Mörtl „Kis mi“ sagt, dann entspricht dies einem unerfüllbaren Wunsch, denn die prallen, süßen Lippen erscheinen entweder durch eine Hürde in unerreichbarer Distanz oder haben sich auf unerklärliche Weise ungesehen verselbständigt. Vereinigen sich die Lippen dann doch, so fragt die Künstlerin: „Was ist das, Liebe?“ Entspricht das tatsächliche Berühren der glühenden Vorstellung, bedeutet es Liebe - oder doch nicht?
Die Überwindung von Distanzen ist vonnöten, um frei sein zu können („Freiheit“); die Freiheit prangt auf leuchtend gelbem Hintergrund in der Höhe der Baumkrone, eine Astlänge entfernt.
Das „Wir“ erwächst aus einer die untere Bildhälfte erfüllenden Farbschlacht und klettert über eine fragile rote Leiter vor einem bedrohlich-schwarzen Hintergrund einem feuerroten Horizont entgegen.
Nastasia Mörtl veranschaulicht zeichenhaft sexuelle Begierde („Ich komme“) und trennt das Sehnsüchtig-Erwartete, das zu Erfüllende und die - zumindest durch die Sprache vermittelte - Erfüllung durch eine Leiter. Kein Erreichen des Ziels ohne die zu überwindende Hürde.
Ein nackter weiblicher Körper, eine üppig geformte Rückenfigur, zeigt sich uns in einem anderen Bild, wohl auf einer Schaukel sitzend.
Bezieht sich das geschriebene „Behind“ auf uns, die wir dahinter zurückbleiben und der Frauengestalt somit nur von hinten gewahr werden können?
Das verführerische Gesäß, in welches ein Herz eingeschrieben ist, sitzt im Bildzentrum, fast porträthaft, der Figurenkopf ist abgeschnitten. Die Reduktion auf den Eros kommt einer Entindividualisierung gleich - auch die Künstlerin selbst zeigt sich uns als kopflose Rückenfigur, knapp bekleidet und mit einer willkürlichen Fokussierung auf das Geschlecht. Dieses „Ich“ will sich nicht im konventionellen Sinn zu erkennen geben und von vorne zeigen, es bedeutet einen Körper, der sich von uns abwendet und uns aber gleichzeitig Intimstes offenbart.
Porträthaft werden das „Jewish Girl“ und „Natascha“ wiedergegeben, doch ihre Gesichter reduzieren sich auf stilisierte breite farbintensive Münder und auf angedeutete Nasen in schmalen Gesichtern, die von wucherndem Haar umgeben, beinah verhüllt werden. Von kräftig-schwarz begrenzten Strähnen „eingespannt“ erscheinen die augenlosen Häupter, und man ist versucht, Vergleiche zu den umgebenden Horizontalen im Hintergrund des traurigen Mädchens („Lena“) oder gar zur gitterartigen Struktur in einer Version von „Our World“ zu ziehen, die eine nackte menschliche Figur in ihrer Mitte gefangen nimmt.
Der Weg ist nicht frei. Er ist nicht frei von Einschränkungen und Hürden, die uns wie Stolpersteine am sorglosen Vorwärtskommen behindern, ob andere sie uns in den Weg legen oder wir selbst.
Mit „Mama wo bist du?“ verdeutlicht Nastasia Mörtl die zwar kindliche, doch letztendlich altersunabhängige Angst vor dem Verlust an Sicherheit und Geborgenheit, die vom Wunsch nach naiver Unbeschwertheit im Schoß der Familie begleitet wird.
Unserer Phantasie jedoch sind keine Grenzen gesetzt. Im Sinne von surreal-anmutenden Überlappungen der Wahrnehmungsebenen erwächst aus einer Nase in einem intensiv-blauen Gesicht ein Engel, der knallrote Mund wird zu seinen Flügeln („Nasenengel“).
In unserer Phantasie überwinden wir Barrikaden, machen das Unmögliche möglich.